Hier ein kleiner Einblick in das Buch

Auszug aus dem 1. Kapitel: "Erschütternde Neuigkeiten"

(.....) Bei der Ultraschall-Untersuchung war die Ärztin immer stiller geworden. Sie hatte das kalte Gerät auf meinem Bauch hin und her geschoben, viele Aufnahmen gemacht und wieder und wieder den Bildschirm angestarrt. Was war nicht in Ordnung?
Die Ärztin blätterte in den Unterlagen und meine Augen wanderten über den Schreibtisch zu dem kleinen silbernen Männchen mit den Kugelfüßen und –händen. Es stand auf einer Nadel und balancierte auf einem Bein vor sich hin. Sicher das Geschenk einer Pharmafirma. „Balantius – Damit die Hormone nicht aus dem Gleichgewicht kommen“ war auf einem kleinen Schild in den Händen des Männchens zu lesen.
Als sich Frau Mertens räusperte, schreckte ich aus meinen Gedanken und sah auf. Anscheinend musste sie gut über ihre Worte nachdenken. „Ich habe hier die Ultraschall-Aufnahmen ihrer Zwillinge.“ Sie legte den Zeigefinger auf das schwarz-weiß Foto und fuhr fort: „Soweit ist eigentlich alles in Ordnung. Aber im Kopfbereich kriege ich die Kinder irgendwie nicht voneinander getrennt. Ich kann nicht die richtige Schicht einstellen.“ Ich beugte mich über das Bild und versuchte inmitten des grauen Gewirrs etwas zu erkennen.
„Es sieht so aus, als ob die Kinder am Kopf miteinander verbunden, zusammengewachsen wären, siamesische Zwillinge anscheinend.“
Graue Flecken auf dem Foto, ich konnte nichts sehen. Sicher musste ich es näher betrachten. Ich nahm es in die Hand und das Balanciermännchen fiel von seiner Nadel. „Entschuldigung“, murmelte ich und starrte auf das Bild. Die Ärztin hatte mir irgendetwas Wichtiges gesagt und ich musste es erkennen. Aber mir war plötzlich so kalt. Ein taubes Gefühl verhinderte, dass ich denken konnte. (.....)

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Auszug aus dem 9. Kapitel: "Tabea und Lea"

Nach dem Trinken wickelten wir die beiden. Zuerst war es ungewohnt, so kleine Körperchen hin und her zu bewegen und wir befürchteten, sie zu verletzen. Aber schnell war uns klar, dass wir die Zwillinge nicht mit Samthandschuhen anfassen mussten und dass ihnen auch die zusammengewachsene Stelle am Kopf keine Schmerzen bereitete. „Jetzt guck dir diese winzige Zehen an, Nelly!“ Peter kitzelte Leas Füße. „Sind Tabeas eigentlich auch so klein?“ Belustigt sah ich hinüber. „Was glaubst du denn, es sind eineiige Zwillinge. Aber guck mal, das rechte Ohr Tabeas ist irgendwie anders als Leas!“ Peter beugte sich über die Köpfe der Kinder und begutachtete die Ohren. „Tatsächlich, sieht so aus, als hätten wir einen Unterschied gefund …“ Plötzlich hielt er inne und rief: „Iiih, was ist das denn?“ Entsetzt schnellte sein Oberkörper hoch, er sah an sich hinunter.
Erschrocken sah ich hinüber und musste gleich darauf lachen: Lea hatte ihn im hohen Bogen angepinkelt. „Und ich dachte, das können nur Jungs“, sagte ich lachend.
Auch Peter prustete nun amüsiert: „Lea, was ist das denn für ein Benehmen!“ Er zupfte an seinem T-Shirt und schüttelte den Kopf: „Na, siehst so aus, als wäre Mama heute dran mit Kuscheln.“ Nachdem wir die Kinder angezogen hatten, setzte ich mich also gemütlich in den Stuhl und Peter legte mir die Zwillinge auf die Brust. Tabea schmatzte ein bisschen und spuckte gleich darauf ein wenig Milch auf meine Bluse. „He, die halten schon zusammen“, beschwerte ich mich, „nun muss ich mich auch gleich umziehen.“ So saß ich lange mit den beiden, während Peter schon zum Umziehen ins Zimmer gegangen war. Die Kinder schliefen langsam ein und ich versuchte diesen Moment des Glücks noch ein wenig festzuhalten.
Tabea und Lea waren unsere Töchter. Ganz besondere Kinder –ohne Zweifel. Aber sie gehörten zu uns und wir würden unser Bestes geben, damit es ihnen gut ging.

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Auszug aus dem 16. Kapitel: Heimweh


Im Moment konnte ich mir kaum vorstellen, dass wir es bis zur großen Trennungsoperation überhaupt noch schaffen würden. Es war schrecklich. Seit Tabea und Lea am Mittwochnachmittag erwacht waren, weinten, wimmerten und schrieen sie fast pausenlos. Wir waren gerädert. In der Nacht zum Donnerstag war es in der Klinik noch einigermaßen erträglich gewesen. Die Mädchen hatten noch über den Tropf Schmerzmittel erhalten und wir fanden wenigsten ein paar Stunden Schlaf.
Nun lagen wir aber schon seit gestern Nachmittag hier mit unseren Zwillingen auf dem großen Bett im Childrens House und versuchten sie abzulenken, mit ihnen zu spielen oder sie ganz einfach zum Schlafen zu bringen. Nichts war zu machen. So hatte ich meine sweety girls noch nie erlebt.
Durch mein Singen und Streicheln hatte sich Tabea etwas beruhigt, nun schrie Lea aber immer wieder laut auf und weinte. Das verängstigte ihre Schwester oder erinnerte sie an ihre eigenen Schmerzen, denn nun stimmten beide ein Wimmern und Schreien an, das wir kaum beruhigen konnten. Peter lag neben Lea und versuchte sein Bestes, sie zu trösten. Aber alles, was wir tun konnten, war ihnen zur verabredeten Zeit die Schmerztropfen zu geben und ihnen einfach nahe zu sein. Wir hatten laut und leise für sie gebetet, gesungen, gestreichelt und geschwiegen. Es wurde nicht besser.
Immer wieder übermannte mich die Müdigkeit und ich nickte für ein paar Minuten ein. Wenn ich dann wieder erwachte, schien es nur noch schlimmer geworden zu sein. Mittlerweile hatte sich ein dumpfer Kopfschmerz in meiner Stirn ausgebreitet, mir war übel. Diese Nacht würde nie ein Ende nehmen, dabei wollte ich das so gerne. Ich wollte, dass alles zu Ende war. Schluss, Aus, Vorbei. Ich konnte nicht mehr. Ein dicker Kloß stieg in meinem Hals auf und der Schmerz in der Stirn reichte nun bis hinunter zu den Augen. Ich fühlte, wie Tränen sich den Weg durch meine geschlossenen Lider bahnten und warm und nass über das Gesicht bis auf das Kopfkissen tropften. Ich war so müde und ich war so fremd hier. Wir waren allein, ich wollte nach Hause.

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Auszug aus dem 21.Kapitel: Die Bärin muss kämpfen


Immer wieder meldeten wir die neuesten Nachrichten unseren Eltern, die dann unsere Freunde und Verwandte anriefen, denn viele beteten besonders an diesem Tag für uns. Wir versuchten uns zu beschäftigen, damit die Zeit uns nicht unendlich erschien.
Nach Schätzungen der Ärzte sollte die OP gegen Mitternacht beendet sein.
So waren wir froh, dass das Telefon zehn Minuten nach Mitternacht klingelte. Peter nahm den Anruf von Dr. Polster an. „Ja, sie sind getrennt“, rief er. „Und wie geht es Tabea?“, lautete meine erste Frage, doch Peter konnte nicht antworten, denn Dr. Polster sprach weiter: „Die Zwillinge sind zwar seit zehn Minuten getrennt, aber Tabea geht es sehr schlecht. Sie sollten sofort in die Klinik kommen, ich komme Ihnen entgegen.“ Bevor wir losgingen, riefen wir noch unsere Eltern an, um ihnen Bescheid zu sagen. Wir baten sie, vor allem für Tabea zu beten.
Schnell streiften wir unsere Jacken über und liefen los. Unterwegs dachte ich mir: „Wenn Dr. Polster gleich zur Begrüßung sagt, dass es Tabea immer noch schlecht geht, will ich sie auch loslassen.“
Am Eingang trafen wir den Kinderarzt. Seine ersten Worte waren: „Die Bärin muss kämpfen!“
Ein stechender Schmerz zog durch meine Brust, ich konnte kaum atmen. „Sie stirbt“, dachte ich verzweifelt, „Oh Gott, sie stirbt wirklich!“ Wir warteten in einem kleinen Raum in der Nähe des OP-Raumes, während die Ärzte weiter um Tabeas Leben rangen. Dr. Poster kam immer wieder zu uns, um uns den Stand der Dinge mitzuteilen. Wir saßen mit unserer Übersetzerin ruhig zusammen und warteten. Jetzt, wo jede Minute entscheidend war, lief die Zeit plötzlich wie im Fluge vorbei. Jedes Mal, wenn Dr. Polster herein kam, waren weitere 20 Minuten vergangen, obwohl es für uns nur fünf Minuten zu sein schienen. Diese Zeit des Wartens war besonders schlimm für mich. Nun würde es sich entscheiden. Dr. Polster kam wieder, es war mittlerweile 1.00 Uhr. „Leider kann ich Ihnen immer noch nichts Positives mitteilen. Sie baut keinen Kreislauf auf“. Ich dachte: „Wenn Tabea es jetzt noch schaffen sollte, dann hat sie bestimmte große Schäden.“ Das Gehirn war schon eine längere Zeit nicht durchblutet gewesen.

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Auszug aus dem 26. Kapitel: Endlich Daheim!


Einen Monat später stellten wir begeistert fest, dass es unserer Tochter sehr gut tat, wieder zu Hause zu sein. Sie spürte es, dass wir viel ausgeglichener und zufriedener waren und für einen regelmäßigen und ruhigen Tagesablauf sorgten. Sie kannte ihre Umgebung bereits sehr gut und fühlte sich wohl. Dies äußerte sich in ihrem Verhalten. Oft saß Lea gelassen in ihrem Stuhl und versuchte etwas zu erzählen. Meistens kamen ihr die besten Ideen während des Essens. Eines Tages kaute sie zufrieden auf ihrem Brot herum und brabbelte verschiedene Silben vor sich hin. Meine Schwiegermutter, die gerade das Geschirr spülte, hörte es und wollte nachsehen, was Lea da macht. Nun kam sie leise zu uns und schaute wortlos her, weil sie wusste, dass unsere Tochter sich beim Essen schnell ablenken lässt. Dabei ging sie mehrmals hin und her. „Sie folgt mit den Augen!,“ rief ich begeistert. Denn jedes Mal, wenn meine Schwiegermutter an ihr vorbeiging, schaute sie in dieselbe Richtung. Es war das erste Mal, dass ich 100%ig sicher war, dass Lea etwas sieht. Wenn das wirklich so war, musste ich mehr herausfinden. Nun fing ich an, verschiedene Spielchen zu machen, um festzustellen, ob sie sehen kann. Ich schlich mich bei lauter Musik auf leisen Sohlen von verschiedenen Seiten an ihren Laufstall heran, in dem sie gerade spielte. Tatsächlich schaute Lea sofort zu mir, als ich am Rand des Gitters erschien. Das versuchte ich mehrmals, auch mit bunten Spielsachen, bis wir sicher waren, dass Leas Sehfähigkeit sich verbessert hatte. Nun gab es wieder einen Grund mehr für uns zum Danken und Hoffen.

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